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Umfrage zur Einkommensgerechtigkeit

Dieser Beitrag ist hier zuerst erschienen: Webseite Sebastian Alscher

Vor kurzem habe ich auf Twitter eine Umfrage gestartet. Hintergrund war zu erfahren, wie das Gerechtigkeitsempfinden ist, bzw. der damit empfundene Handlungszwang oder moralische Imperativ das zu ändern.

Das Ergebnis hat mich überrascht.

In Bezug auf die Frage von Vermögens- und Einkommensgerechtigkeit gab es jüngst einen Beitrag des SWR, der sich mit Lohngerechtigkeit beschäftigte. Hier kommentierte Dr. Stefan Liebig:

„Was wir tatsächlich beobachten ist, dass die Einkommen im oberen Einkommensbereich als eigentlich weniger ungerecht wahrgenommen werden. Also die Idee, dass die Mehrheit der Deutschen glaubt, dass Ärztinnen und Ärzte mit einem Einkommen von rund 6.200 Euro, dass die ungerecht entlohnt werden, also dass die zu viel bekommen, das ist tatsächlich nicht der Fall. (…) Das Problem besteht nicht im oberen Einkommensbereich, sondern tatsächlich im unteren Einkommensbereich. Hier haben wir tatsächlich das Empfinden, dass die niedrigeren Einkommen oder die unteren Einkommensbereiche zu wenig erhalten.”

Soziologe Dr. Stefan Liebig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin

Allein das Empfinden ungerechter Behandlung führt ja noch nicht dazu, das auch ändern zu wollen. Bei der Frage, ob und wie man bereit ist, die empfundene Ungerechtigkeit zu beheben, rückt in den meisten Fällen die Betroffenheit ins Zentrum. Einerseits die Betroffenheit durch das Problem selbst, also dass man darunter selber leidet, andererseits die Betroffenheit im Fall einer Lösung, also dass man selbst einen Nutzenentgang hat, wenn es zu einer entsprechenden Umverteilung kommt. In einer Umfrage kann eine solche Situation dadurch abgebildet werden, indem eine bestimmte Gesamtsumme von Transfers einer Gruppe von Menschen zur Verfügung gestellt wird (analog eines Kuchens), die dann nach Gutdünken der Antwortenden auf alle verteilt werden soll.

Die Umfrage

Stellen wir uns also vor, wir hätten einen Kuchen zu verteilen, und eine Menge Kinder, die bereits unterschiedlich viel/wenig gegessen haben. Was würdet ihr tun? Entsprechend gab es eine Frage mit diskreten Antwortmöglichkeiten, wie es das soziale Netzwerk zulässt. Grundgesamtheit der Befragten war eine Gruppe auf Twitter, die entweder zu meiner Bubble gehört, weil sei mir folgt, oder darüber hinaus irgendwie mit ihr verbunden ist.

Würdest du lieber
A) Allen 700 € geben
B) den einkommensschwächsten 50% 1.400 €
C) dem einkommensschwächsten Drittel 2.100 €?
(Man kann aus 700 natürlich auch 1.000 oder mehr machen, und anteilig bei den anderen erhöhen. Das Prinzip is klar, denk ich.)

Recht schnell stellte sich ein erstes Ergebnis ein, bei dem etwa zwei Drittel der Antwortenden die erste Möglichkeit wählten, alle sollten 700 EUR erhalten. Erfahrungsgemäß sind die ersten Antworten auf meine Tweets aus der direkten bzw. angrenzenden Followerschaft auf Twitter, also das, was üblicherweise als Bubble bezeichnet wird. Bei dem von mir verwendeten Account setzt diese sich vor allem aus Piraten zusammen. Dies könnte also als ein erster Querschnitt der Piratenmeinung lose interpretiert werden.

Nach einem halben Tag wanderte der Tweet aus meiner Bubble heraus, unter anderem teilte ein Mitglied der JuLis den Tweet. Ich kann also annehmen, dass ab diesem Moment der Tweet eine “JuLi-Bubble” erreichte. In der Folge verschob sich dann das Ergebnis und blieb dort im Wesentlichen bis zum Auslaufen der Umfrage.

Einkommen

Wie können nun diese drei Antworten eingeordnet werden und wie würde ich den Verlauf des Ergebnisses verstehen? Vorab ein kleiner Exkurs zum Thema Einkommen.

Einkommen ist auch in Deutschland ungleich verteilt. Im Vergleich der europäischen Länder oder auch der EU liegt Deutschland jedoch im Mittelfeld (Grafik). Der Gini-Koeffizient des verfügbaren Äquivalenzeinkommens ist bei 31,1; im Vergleich dazu liegt er in Schweden bei 27, Italien bei 33,4 und Litauen bei 36,9. Was genau bedeutet das, was kann man sich darunter Vorstellen?

Eine wichtige Maßzahl ist zunächst einmal das Medianeinkommen, auch das mittlere Einkommen genannt. Es teilt die Menge der Haushalte bzw. Personen in zwei gleichgroße Hälften, entsprechend ihres Einkommens. Der Median des verfügbaren Jahreseinkommens (Einnahmen abzüglich der Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben) liegt in Deutschland bei 31.723 EUR. Das sagt jedoch noch nichts über die Verteilung der Einkommen aus, wie ihn der Gini-Koeffinzient ausdrückt, sondern nur über das Niveau der Einkommen. Betrachtet man nun z.B. in den Daten des Statistischen Bundesamts die Einkommensteueraufkommen der unbeschränkt Steuerpflichtigen, dann sind die Einkünfte der oberen 20% höher als 52.739 EUR, die Einkünfte der 20% mit den geringsten Einkommen geringer als 7.953 EUR. Es besteht also ein Unterschied von 44.786 EUR zwischen dem 20er-Perzentil und dem 80er-Perzentil (alles als Jahreswerte). Die einkommensstärksten 10% erzielen ein Jahreseinkommen von 75.296 EUR, die schwächsten 10% von weniger als 1.600 EUR. Dass Einkommen generell nicht gleichverteilt ist, leuchtet unmittelbar ein. Die Spanne in dieser Verteilung ist jedoch häufig Grund für strukturelle Ungleichheit, die auch die Chancengerechtigkeit einschränkt. Die Effekte auf Chancen im Bildungssystem beispielsweise sind gesellschaftlich ausführlich diskutiert und als Problem erkannt worden.

Diese Verteilung wird auch im Aufkommen der Einkommenssteuer deutlich – sowohl die Höhe der Einkommen als auch der progressive Steuersatz führen dazu, dass im Veranlagungsjahr 2014 die 10% der Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen 56,7% der festgesetzten Einkommensteuer, während die unteren 50% nur 4,8% der Einkommensteuer zahlten.

Einkommenssteuern sind aber nicht das Einzige, was das verfügbare Haushaltseinkommen reduziert. Eine weitere Belastung kommt durch andere Steuern und Abgaben hinzu, die auch die geringeren Einkommen treffen.

Steuern und Sozialbeiträge in Prozent des Haushaltsbruttoeinkommens 2015

Man kann also unstrittig feststellen, dass für jedes Haushaltsperzentil gilt, dass ein nicht unwesentlicher Anteil des Haushaltsbruttoäquivalenzeinkommens an die öffentlichen Haushalte abgeführt wird.

Die Antwortmöglichkeiten

Wie also können diese Antwortmöglichkeiten eingeordnet werden? Die meisten Menschen sind damit vertraut Steuern zu bezahlen. Während wir da also das Prinzip kennen: “Geld weg und an den Staat”, ist die Zahlung in die Gegenrichtung im Prinzip analog einer Steuerrückerstattung – vollkommen gleich ob Einkommensteuer, Mineralölsteuer oder Mehrwertsteuer. Somit wäre die Antwortoption 1: “Allen 700 € geben” äquivalent zu einer Steuerrückerstattung für alle.

Die anderen beiden Antworten unterscheiden sich zunächst dadurch, dass eine Einteilung der Menschen nach Einkommen vorgenommen wird. Eine bewusste Ungleichbehandlung der Gruppen. Wer Antwort 2 oder 3 gibt, der entscheidet sich dafür, Menschen aufgrund ihres Einkommens im Hinblick auf das “Kuchenverteilen” zu unterscheiden. In diesem Fall sollen diejenigen mit weniger Einkommen mehr bekommen, es soll also zu mehr Gleichheit führen, indem umverteilt wird. Der Staat soll Einkommensunterschiede ausgleichen. Der zweite Aspekt ist, dass mit der Entscheidung, der einkommensstärkeren Hälfte der Bevölkerung den Transfer zu verweigern, eine deutlich höhere Auszahlung an die einkommensschwächere Gruppe möglich ist. Wer also Ungleichheit beseitigen möchte, der gewinnt einen deutlich höheren Hebel, indem er die oberen 50% leer ausgehen lässt, oder gar die oberen zwei Drittel. Es wäre für das Ziel von mehr Einkommensgleichheit das effizienteste Mittel, der Gini-Koeffizient würde stärker fallen.

Was mich überraschte

Nach all den Worten vorab nun zu dem, was mich am Ergebnis, bzw. streng genommen dem Verlauf des Ergebnisses überraschte.

Das erste Ergebnis nach 12 Stunden, das mutmaßliche “Piraten-Ergebnis”, deutet darauf, dass zwei Drittel für den Transfer an alle Menschen stimmten. Das war für mich unerwartet. Bei den linksliberalen und sozialliberalen Meinungen in der Piratenpartei hatte ich nicht so deutlich den Wunsch einer Anhebung aller Einkommen erwartet. Vielmehr ging ich davon aus, dass die “Ersparnis” bei den Einkommensstärksten genutzt würde, um die Ungleichheit zu beseitigen. Den Einkommensstärksten wäre nichts entgangen, da sie zuvor ja ebenjenen Transfer ohnehin nicht erhalten haben. Stattdessen wurde deutlich, dass lieber das Äquivalent einer Steuerrückzahlung für angemessen gehalten wird.

Die angrenzende “Junge Liberale Gruppe” votierte stärker für die Beseitigung der Einkommensungleichheit. Nachdem aus der JuLi-Twitter-Bubble immer wieder Diskussionen rund um das Thema “Steuern sind Raub” aufkamen und auch regelmäßig Revierkämpfe von selbsterklärten Libertären zu beobachten sind, haben sie als Jugendorganisation der FDP nicht wirklich ein Renommee als Freunde der staatlichen Umverteilung (wie die FDP selbst ja auch nicht). Umso irritierender war daher für mich die vermutete Verschiebung des Ergebnisses zu mehr staatlichen Transfers, anstatt die Rückerstattung von Abgaben und Steuern zu fordern. Gilt hier also eher “harte Schale, weicher Kern”? Oder ist das eher eine inhaltliches Missverständnis, was die politischen Forderungen dann tatsächlich bedeuten?

Erwähnung: Vereinzelt tauchten unter dem Tweet Fragen auf, oder Kommentare zur eigenen Stimmabgabe. In den meisten Fällen waren es Missverstänndisse die darauf beruhten, dass Umfragen auf Twitter Einschränkungen unterliegen, die nicht jede Komplexität zulassen. Beispielsweise: “Aber dann muss da ja tief in die Privatsphäre eingegriffen werden, um das Einkommen zu ermitteln, damit die Leute Geld bekommen!” oder “Aber dann hat ja die Person, die um einen Euro über dem Medianeinkommen liegt, im Gegensatz zum Nachbarn 1.400 EUR weniger!”. Was die Privatsphäre angeht bin ich recht zuversichtlich, dass die Finanzämter einen guten Überblick haben (oder mit geringem Aufwand den zeitnah gewinnen können), welche Personen oder Haushalte zu den Nicht-Bezugsberechtigten gehören, weil ein zu hohes Einkommen vorliegt. Die Finanzämter sind in der Regel recht gut informiert. Zu der Nichtstetigkeit der Antworten – hier ist es eigentlich üblich von Klassenmittelwerten auszugehen. Und eine Lösung zu finden, die die Transfers in der Höhe dann glättet und Sprünge vermeidet, das erfordert nicht viel Kreativität. Ein Beispiel dafür wäre eine negative Einkommenssteuer.

Persönlich denke ich, dass wir in unserer Gesellschaft trotz des durchschnittlichen Abschneidens im europäischen Vergleich noch eine ausgeprägte Ungleichheit in Bezug auf Vermögen und Einkommen haben, an der wir arbeiten sollten. Weniger ist hier für mich wichtig, das Einkommensniveau insgesamt zu erhöhen, oder Leistungsträger bzw. Vermögende oder Einkommensstarke zu bestrafen. Essentiell wäre in meinen Augen, Ungleichheit durch dir Bekämpfung von Armut (anstatt Reichtum) zu bekämpfen.

Vor einigen Jahren folgte ich mal einer Diskussion darüber, wie man die Qualität eines Cafés verbessern könne. Unter Gastronomen bestand recht schnell Einigkeit darüber, dass es nicht zielführend ist, dass ein Barista den einen perfekten Cappuccino besser macht, sondern dass es für das Ziel vor allem verhindert werden muss, dass es misslungene Getränke gibt, die verkauft werden. Auch wenn die Analogie nicht ganz passend ist, denke ich seitdem immer daran, wie wichtig es ist, nicht auf das zu schauen, womit man eigentlich leben kann, sondern die Aspekte anzugehen, die einem Sorgen bereiten. Und das Gleiche gilt auch hier. Das Problem ist nicht die Ungleicheit per se. Wenn sie weiter existiert, aber die geringen Einkommen auf einem fürstlichen Niveau wären, dann würde das Problem ein anderes sein. Da das aber nicht so ist, ist für mich der nächste Weg, Armut direkt zu bekämpfen.

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