Unsere Kampagne für Europa und die dazugehörigen Plakate haben die Partei in den letzten Wochen gefühlt in Atem gehalten. Der Entstehungsprozess war schmerzhaft, langwierig und shitstormträchtig – also eigentlich ganz normal für Piraten. Wir haben zusammen gefasst was passiert ist, warum, was falsch gelaufen ist, und was wir daraus gelernt haben.

Prozess

Der Bundesvorstand hat bereits Ende Dezember einige Entscheidungen zur Strategie getroffen: Wir haben festgelegt, dass es drei Wahlkampfthemen und zwei Spitzenkandidaten geben wird. Auf der Aufstellungsversammlung Anfang Januar wurden die ersten zwei Themen verkündet: Demokratieupdate und Asylpolitik. Das dritte Thema – Bürgerrechte – wurde von der Basis in der folgenden Woche einer Lime Survey Umfrage bestimmt.

Für weitere Entscheidungen zur Strategie trafen sich die Spitzenkandidaten, die zuständigen Vorstände und der Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit eine Woche nach der AV in Frankfurt. Dort haben wir die Strategie weiter ausgearbeitet, und unter anderem das Konzept „Grenzenlos“ beschlossen, das Julia Reda in einem Artikel vorstellte. Außerdem haben wir uns darauf geeinigt, dass wir eine positive Kampagne wollen („wir sind für“, nicht „wir sind gegen“), die auch konkrete Lösungen anbieten und nicht nur kritisieren soll.

Die Servicegruppe Content Strategy entwickelte die Kampagnenentwürfe und die Servicegruppe Gestaltung die dazugehörigen Plakatentwürfe – beides unter der Aufsicht des Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit, Christophe Chan Hin. In der ersten Phase entstanden zunächst vier Entwürfe, die dem Wahlkampfkomitee aus den Wahlkampfkoordinatoren der LVs, den Europakandidaten und dem Bundesvorstand in dessen erster Sitzung am 28. Januar vorgestellt wurden.

Geplant war, an diesem Abend einen der vier Entwürfe festzulegen, der anschließend weiter ausgearbeitet werden sollte. Leider konnte das aus Zeitmangel an diesem Abend nicht stattfinden. Stattdessen haben wir in einer Doodle-Abstimmung zwei Entwürfe ausgesucht, die die SGs dann weiter ausgearbeitet und am 4.2. erneut vorgestellt haben. Auf dieser Sitzung wurde durch Abstimmung festgelegt, aus welchem der Entwürfe unsere Kampagne für Europa werden soll.

Jetzt haben wir endlich ein Ergebnis: Plakate zu unserer bundesweiten Kampagne zum Europawahlkampf. In die finalen Plakate haben die Gestalter so viel wie möglich von dem vielfachen, konstruktiven Feedback aufgenommen.

Wir möchten sie euch in einer Mumblerunde im Dicken Engel vorstellen. In dieser Runde können auch Fragen zur Kampagne und zum Prozess beantwortet werden. Termin ist der 18.2., um 20:00 Uhr.

Prozessreview

Da es viel Kritik am Prozess gab, und wir es nächstes Mal besser machen wollen, möchten wir uns die Kritikpunkte genauer ansehen.

Termine waren nicht klar

Wir werden in Zukunft frühzeitiger kommunizieren, was wann geschieht. Ein Anfang wurde damit mit der Redmineinstanz bereits gemacht.

Alternative Plakatentwürfe wurden in den Entscheidungsprozess nicht einbezogen

Im Laufe der Diskussion haben viele Piraten alternative Plakatentwürfe erstellt und uns zugeschickt. Leider waren sie aber eben das: Plakatentwürfe. Sie berücksichtigten weder die – den Einsendern nicht bekannten – strategischen Vorgaben, noch wurden sie mit einem Kampagnenkonzept verknüpft. Plakate allein waren eben leider nicht genug.

Unterschied zwischen Kampagne und Plakaten ist nicht klar

Das war zum Teil unser Fehler: Wir haben Strategie und Kampagne besprochen, und allen Beteiligten war bewusst, was die Vorgaben sind. Wir haben aber versäumt, diese richtig zu dokumentieren und kommunizieren. Das führte dazu, dass es während des Entstehungsprozesses aussah, als gäbe es diesen wichtigen roten Faden nicht.

Für die Zukunft sollte das Konzeptpapier, das in diesem Fall nachträglich veröffentlicht wurde, zum Beginn des Prozesses erstellt und kommuniziert werden.

Die andere Seite der Medaille ist, dass ein Kampagnenkonzept sehr abstrakt, Plakatentwürfe aber sehr greifbar sind. Daher kristallisierte sich unheimlich viel Kritik an den Plakatentwürfen, während wir versucht haben , eine Diskussion um das Konzept zu führen. Dabei haben wir sehr viel aneinander vorbei geredet.

Suboptimale Kommunikation innerhalb der SG Gestaltung

Den Mangel an Kommunikation haben wir mit den Verantwortlichen besprochen. In Zukunft werden sie deutlicher machen, was gerade geschieht und wer gerade woran arbeitet.

Entscheidungsfindung im Wahlkampfkomitee

Die Annahme, die Wahlkampfkoordinatoren der Länder könnten direkt Entscheidungen treffen, war falsch. Dafür möchte ich mich entschuldigen.

Das eigentliche Problem ist aber: Wir haben keine Zeit.

Projektplanung ist üblicherweise sehr einfach: Die Zeitplanung wird rückwärts gerechnet. Das Enddatum ist der Termin an dem die Plakate geliefert werden sollen: Mitte April. Zwei Wochen brauchen wir für die Lieferung, vier Wochen für die Sammelbestellung, weitere zwei Wochen für die Bearbeitung der finalen Plakate. Also brauchten wir die Entscheidung für das Konzept Mitte Februar.

Der letzte BuVo hat leider über die Aufstellungsversammlung hinaus keinerlei Vorbereitungen getroffen, so dass wir die gesamte Vorbereitung und Orga in Windeseile aus dem Boden stampfen mussten. Dabei kam die Kommunikation zu kurz, ebenso wie die Zeitspannen für Basisbeteiligung, die wir aus Zeitmangel schlicht nicht mehr unterbringen konnten. In Zukunft werden wir langfristiger planen, damit ein solcher Zeitdruck nicht mehr entsteht.

Erfahrungen aus der BTW wurden nicht aufgegriffen

Das Problem an diesen Erfahrungen ist, dass sie nirgendwo ordentlich dokumentiert werden. Teil eines Prozesses muss auch der Review am Ende sein. Dazu gehört nicht nur die vielfache Diskussion und Aufarbeitung, sondern auch die Dokumentation der Ergebnisse, mit Empfehlungen für Verbesserungen beim nächsten Mal. Diese müssen den (neuen) Zuständigen zur Verfügung gestellt werden, sonst haben diese keine Wahl als die Fehler zu wiederholen und dabei auf’s Neue zu lernen.

Es ist eigentlich unglaublich, dass wir die selben Fehler immer wieder machen. Aber wir lassen die Verantwortlichen auch jedes Mal aufs Neue ins selbe offene Messer laufen – weil wir ihnen nicht das Wissen der vorhergehenden Prozesse zur Verfügung stellen. Wir lassen sie machen, betrachten das Ergebnis, und hinterher heißt es dann »Aber das wussten wir doch! Warum habt ihr denn nichts gelernt?!«.

Das müssen wir ändern – das werde ich ändern.

Und zwar indem ich diese Dokumentation schaffe, und dafür sorge, dass Wissen über Abläufe und durchlaufene Prozesse nicht mehr nur in den Köpfen einzelner Personen bleibt.

Persönliche Anmerkungen

Ziel des Wahlkampfkomitees war es, ein Gremium zu schaffen, dass zum einen Entscheidungen trifft und zum anderen Kommunikation strukturiert. Beides ist vorerst gescheitert.

Es sollte uns im Konsens zu einer Kampagne zu bringen, die wir im ganzen Bund vertreten können. Genau das haben die Landesverbände von uns gefordert. Die Kampagne sollte von allem LVs mit beschlossen werden, damit jeder sich einbringen und auch Verantwortung für das Ergebnis übernehmen kann. Das ist nicht geschehen – teils, weil der Prozess nicht deutlich genug erkennbar war, teils weil die dafür notwendigen Entscheidungen vielfach einfach nicht getroffen wurden.

Der Plan war, dass die Koordinatoren der Länder laufend in ihren Gliederungen kommunizieren, was geschieht. Und sie sollten auch Fragen dazu beantworten können – eben damit nicht die Zuständigen im Bund 3.000 Piraten einzeln erklären müssen, warum was wie läuft. Das hat absolut nicht funktioniert. Viele der Landeskoordinatoren haben mehr Fragen gestellt als beantwortet. Viele Antworten wurden nicht weiter kommuniziert.

Ja, der Prozess ist suboptimal gelaufen. Aber das liegt nicht nur am „bösen Bund“, der alles zentralisiert. Ich erwarte von Piraten, die eine Aufgabe übernehmen – sei es als Vorstand oder als Koordinator – dass sie Verantwortung übernehmen. Und Verantwortung bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen, und dazu zu stehen.

Ich stimme zu, dass man Feedback einholen soll und muss. Der Schwarm funktioniert gut, wenn es um Aufgaben geht, die diversen Input brauchen – Feedback, Sammlungen, Ideen. Zu oft ziehen wir uns auf das Schlagwort »Basisdemokratie« zurück und blockieren Prozesse weil sie uns »nicht basisdemokratisch genug« sind. Die Argumentation ist dann, dass etwas nicht umsetzbar ist, wenn „die Basis“ nicht entscheiden kann. Das finde ich falsch. Als Amtsträger sind gerade Vorstände von der Basis legitimiert, um genau das zu tun: Entscheidungen zu treffen.

Man muss als Vorstand Abwägungen treffen, die man von der Basis in der breiten Masse nicht erwarten kann: Was sind die weiteren Implikationen, wenn man sich gegen eine bundesweite Kampagne entscheidet? Was bedeutet es für die Partei als Ganze, wenn die Landesverbände nicht an einem Strang ziehen? Wie stehen wir alle in der Öffentlichkeit da, wenn wir es nicht schaffen uns auf eine gemeinsame Richtung zu einigen?

»Die Basis« sollte in jeder Phase über ihre Wahlkampfkoordinatoren zu Wort kommen. Darauf war der Prozess ausgelegt. Aber sie sollte keine Entscheidungen treffen – denn das kann sie nicht sinnvoll leisten. Aber In den Komiteesitzungen haben sich aber sehr viele Koordinatoren enthalten, weil die Basis nicht abstimmen durfte.

Dieser fehlende Mut führte zu Shitstorms gegen die Bundesebene. Das ist nicht fair. Ich apelliere für die Zukunft daran, dass die Länder – vertreten durch ihre Wahlkampfkoordinatoren – hier mehr Verantwortung übernehmen und die Brücke zwischen der zentralen Wahlkampforga und der Basis in den Landesverbänden bilden.

Wie es weiter geht

Für die Zukunft möchten wir eine feste Gruppe für die Wahlkampforganisation aufbauen. Sie soll über die nächste Wahl hinaus Bestand haben und sich auch um die oben genannte Dokumentation kümmern.

Wer dabei mithelfen möchte, kann sich auf der Mailingliste der Wahlkampforganisation eintragen, bei einer unserer Mumlebesprechungen vorbeischauen (jeden Montag um 20:30), oder sich direkt bei mir melden.