Liebe Piraten,

seit geraumer Zeit schwelt in der Piratenpartei ein Richtungsstreit. Sind wir links oder vielleicht sogar linksextrem, sind wir sozialliberal oder sind wir der politische Arm irgend einer NGO? Der Landesverband Rheinland-Pfalz ist der erste mir bekannte Landesverband der sich selbst das Label sozialliberal gegeben hat. Das geschieht meiner Meinung nach aus dem Bedürfnis heraus, durch eine Richtungsentscheidung eine Mehrheit in der Piratenpartei generieren zu wollen. Das Bedürfnis nach Einigkeit und Zusammenhalt ist groß, nur welche Einigkeit soll es denn sein? Die Verunsicherung ist spürbar und droht uns zu zerreissen. Wer Einigkeit beschwört, muss sich unterstellen lassen, er/sie/es wolle uns „seine“ Einigkeit aufdrücken.

Ich halte die Überlegung, uns durch ein Label zu einen, erst dann für zielführend, wenn es uns gelingt, dieses Label auch zu definieren. Worthülsen werden nicht reichen, wir werden miteinander reden und uns einigen müssen. Dies wird Aufgabe der gesamten Partei sein und nicht die des Bundesvorstandes. Es ist die Frage nach gemeinsamen Werten, und diese Debatte gibt es, seit es die Piratenpartei gibt. Ich halte diese Debatte für notwendig und würde mich freuen, wenn erkannt würde, dass diese Debatte nichts Schlechtes ist. Sie ist ausufernd, wird sehr emotional geführt, sie ist oft auch unsachlich, weil Lebenswirklichkeiten aufeinander prallen, die zu erklären oft einfach nicht möglich ist, aber diese Debatte ist wichtig.

Ob wir diese Debatte je zu Ende führen werden, ist überhaupt nicht wichtig, wir müssen sie nur für notwenig erachten und führen. Wenn wir erkannt haben, dass es neben den Regeln, die wir uns gegeben haben, auch gemeinsamer Werte bedarf und diese offen und auch öffentlich diskutieren, dann können wir diesen Impuls auch in die Gesellschaft tragen. Politik ist im wesentlichen eine Wertedebatte, nur wird sie oft so verklausuliert, dass man sich an Sachfragen abarbeitet und das eigentliche Problem dahinter nicht mehr erkennt. So stellt die Frage nach Datenschutz, die Frage nach der Selbstbestimmtheit des Individuums, einen Wert dar.

Das Bombergate

Die Kritik am Bundesvorstand bezüglich unserer Äußerung im Bombergate ist vielschichtig. Zum einen wird uns vorgeworfen, wir hätten es an Deutlichkeit fehlen lassen, zum anderen wird mir persönlich vorgeworfen, dass ich mich von einer Person beraten lasse, die das umstrittene Statement aus Dresden auf Twitter selbst skandiert.

Der Bundesvorstand hat gesagt, dass er die Aktion aus Dresden nicht gutheißt. Und er hat sich gleichzeitig vor Anne Helm gestellt, da sie vom rechten Mob beleidigt und bedroht wird.

Piraten müssen sich IMMER schützend vor ALLE Menschen stellen, die vom rechten Mob bedroht werden. Im Falle von Anne ist dies völlig unabhängig davon, ob sie die Person auf dem Bild ist, das durch die Boulevardpresse ging, oder ob sie es nicht ist. Der Bundesvorstand wird sich seine Urteile nicht auf Basis von Gerüchten und Vorurteilen bilden. Besonnenheit ist wichtig – besonders wenn sich gerade mal wieder ein Gate auftut. Auch wenn das Zeit kostet.

Nun hat Anne in einem Interview mit der Jungle-World  gesagt, das sie es ist und ihre Gründe genannt. Sicherlich wäre es das Beste gewesen, sie hätte von Anfang an zugegeben, dass sie es ist und wir hätten uns viel Ärger gespart. Dennoch: Anne ist eine langjährigen Streiterin gegen neonazisitische Strömungen und hatte die Protestaktion ganz im Wissen, nicht als Piratin erkannt zu werden, durchgeführt. Sie hat noch einmal klargestellt, dass sie weder die Opfer verhöhnen wollte, noch zu einer antideutschen Strömung gehört. Die provokante Aktion galt alleine den Naziaufmärschen, die in Dresden leider immer unter dem Wahrnehmungsfokus der Medien stattfinden. Die Vermummung und das Leugnen ihrer Identität waren reiner Selbstschutz, denn die Kriminalpolizei hat bereits jetzt in einer Akte das Gefährdungspotential für Anne Helm durch Neonazis festgestellt.

Über das, was sie sich auf den Bauch gepinselt hat, brauche ich nicht viel Worte verlieren. Es ist respektlos. Es vereinfacht einen komplexen Sachverhalt auf ein radikalisierendes Niveau und das lehne ich ab. Nicht nur für diese Aussage, sondern auch als Prinzip des politischen Weges. Wir dürfen nie vergessen, dass wir uns gegen Demagogie (Volksverführung) gestellt haben – dass wir es anders machen wollen. Deshalb bin ich sehr glücklich über Annes Entschuldigung.

Mein Team

Mein Team oder wie oft auch gesagt wird, mein Kompetenzteam, besteht aus unterschiedlichen Leuten innerhalb der Piratenpartei. Da ist eine Marina Weisband als Vertreterin eines gemäßigten Flügels innerhalb der Piraten, als auch ein Bruno Gert Kramm als Vertreter eines eher progressiven Teils innhalb der Piratenpartei. Da ist Christophe Chan Hin, der mir bei der Öffentlichkeitsarbeit hilft. Julia Schramm hat schon vor einiger Zeit ihre Mitarbeit in meinem Team aufgegeben. Sie hat das von sich aus getan und ich respektiere ihre Entscheidung.

Diese Piraten habe ich gebeten mir zu helfen, sie bekleiden dadurch kein Amt und Beauftragungen werden nur für spezielle Aufgaben erteilt, die durch ihre Hilfe notwendig werden. Für Christophe z.B., wenn er für uns Reisen muss oder für Marina, weil sie mich zum zentralen Festakt des Gedenkens von 60 Jahre Yad Vashem am 4. März in Berlin begleitet.
Alle Vorstände haben Menschen, mit denen sie sich beraten. Das war schon immer so und das wird hoffentlich auch immer so bleiben. Ich unterhalte mich mit vielen Personen und bitte sie um ihre Einschätzung. Die Liste der Leute ist sehr lang und ich empfinde das als normal.

Orgastreik

Noch eine Bemerkung zum Orgastreik. Ich finde den Weg, den die Orga gewählt hat, nicht gut. Uns zum Handeln zwingen zu wollen, die Infrastruktur lahm zu legen, dessen freie Zugänglichkeit eines unserer Kernanliegen ist, ist, gelinde gesagt, ein Desaster für die Piratenpartei. Ich kann die Orga aber auch verstehen und verwehre mich gegen die Art und Weise WIE der Unwillen bzgl. dieser Aktion von einigen Piraten gegen die Orga geäussert wurde. Genau das ist es, was die Orgaaktion nämlich aufzeigen wollte, dass wir miteinander reden statt übereinander.

Was nun?

Die Idee uns über unseren, in unserem Grundsatzprogramm beschriebenen, Gesellschaftsentwurf zu einen, ist Intellektuell sehr reizvoll. Es ist die Vision von Zusammenleben, die wir unserer Gesellschaft anbieten und es ist nicht die „von der Hand in den Mund“-Politik, die wir aktuell erleben. Es ist die Idee einer nachhaltigen Politik, die auf eine gemeinsame Zukunft ausgerichtet ist.
Wie wollen wir als Organisation dieses gemeinsame Ziel erreichen, das ist die Frage, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben.

Unser Ziel?

Wir sind uns einig in der Frage, ob wir eine Wissensgesellschaft und  Informationsgesellschaft wollen. Wir wollen sie, weil sie die Basis für die positive Entwicklung einer Gesellschaft ist, die – aufgeklärt und angstfrei – ihr Zusammenleben organisieren und auch mitbestimmen kann.  Eine Gesellschaft, die gelernt hat zu Fragen, die neugierig ist, die Informationen bewerten und reflektieren kann und dadurch auch geschützt ist vor Demagogie, vor Manipulation. Dieser  Gesellschaftsentwurf  ist in unserem Grundsatzprogramm zu finden und wir haben dazu schon 2006 »Ja« gesagt.

Eine Wissensgesellschaft braucht OpenAccess, Datenschutz, Informationsfreiheit, Bildung, eine transparenten Politik, einen transparenten Staat und somit auch OpenData und eine  Kommunikationsinfrastruktur, die frei von Kontrolle und Zensur ist!

Da brauchen wir uns nicht mal in Kernis und Vollis auseinanderdividieren, weil in diesen paar Grundsätzen das drin steckt was wir an  Programmentwicklung bisher geleistet haben. Partizipation ist Teilhabe und Grundlage für unsere Sozial-, Asylpolitik oder auch für das BGE. Unser Fundament ist GUT und es besteht KONSENS in der Piratenpartei.

Und  wenn uns die Menschen fragen: »Wer seid ihr eigentlich? Wie soll man euch politisch verorten?«, dann könnt ihr ihnen auch gerne von diesem Gesellschaftsbild erzählen. Von Aufklärung und von dem Unterschied  zwischen Wissen und Glauben, davon, dass wir nicht Opfer einer Politik sein müssen, die uns mehr und mehr in funktionierende kleine  Duracell-Hasen verwandeln möchte, die uns mit dumpfer Angstmacherei ihren Kontrollstaat aufzwingt – weil wir keine Angst haben müssen, wenn wir wissen und verstehen!

Dieses Ziel ist frei von Dogmatismus, es beschreibt die Zukunft, und der Weg, den wir beschritten haben um es zu erreichen, ist der einer demokratischen Partei.

Wie erreichen wir das?

Wir  haben uns selbst Strukturen gegeben, Gremien entwickelt und diese Partei aufgebaut. Diese Strukturen müssen wir bewahren und gegebenenfalls auch verteidigen, uns an unsere  Regeln halten. Wenn wir feststellen, dass die Regeln, die wir uns gegeben haben, nicht funktionieren, dann müssen wir sie verändern und uns bessere ausdenken. Auf Basis dieser Strukturen werden wir unsere politischen Ziele nach außen vertreten.

Caro, Björn und ich haben vor, eine politische Agenda für unsere Arbeit als BuVo zu erstellen. Da stehen Themen wie Whistleblowing, Datenschutz oder Urheberrecht genau so auf der Agenda wie die Wertediskussion, die wir brauchen. Das will ich nicht losgelöst von der Basis machen, sondern zusammen mit den Landesverbänden und allen Mitgliedern.
Insbesondere für eine Wertedebatte brauchen wir eine Veranstaltung und hier sind wir aktuell am sondieren, wie und wo wir das machen können.

Was zeichnet uns aus?

Wir brauchen nicht die Attitüden von falscher Seriosität, um andere Menschen zu überzeugen, sondern wir brauchen Echtheit, wir brauchen Authentizität. Berlin, das Saarland, Schleswig-Holstein und NRW haben gezeigt, dass es unangepasst und schräg, mit Kreativität und mit Spaß an der Sache funktionieren kann! So werden wir den Politsockenpuppen das Wasser abgraben.

Wir können das schaffen und gute Wahlergebnisse einfahren. Nicht nur mit unseren Themen sondern auch ganz einfach mit uns, mit unserem Selbstverständnis und unseren Fragen, mit unseren Zweifeln und dass wir nicht alles wissen, weil niemand alles wissen kann und dass das der Wahrheit näher ist als die gepredigte Alternativlosigkeit, die uns von den etablierten Parteien verkauft wird.

Wenn wir unsere Gemeinsamkeiten nach vorne stellen und den Menschen zeigen, dass die Piratenpartei an einem Strang zieht – dann ist alles möglich!